Dental Magazin Sonderdruck, Dr. Karl-Ludwig Ackermann

DENTAL MAGAZIN [ 1 ] SONDERDRUCK DM 5/2010, S. 58–64 Das Forum für fachliche Meinungsbildung Nachdruck — auch auszugsweise —, Vervielfältigung, Mikrokopie, Einspeicherung in elektronische Datenbanken und Übersetzung nur mit Genehmigung der Deutscher Ärzte-Verlag GmbH, 50832 Köln, Postfach 40 02 65 Implantologie – die richtige Verbindung Allein in Deutschland sind zurzeit mehr als 100 verschiedene Implantatsysteme erhältlich. Diese Systeme unterscheiden sich trotz gleicher Grundidee und meist gleichem Grundmaterial (Titan) teilweise erheblich im Implantatdesign, in Oberflächenbeschaffenheit oder Aufbautenvielfalt. Konisch versus flach-zu-flach − diese Frage wird und wurde in der Vergangenheit immer wieder diskutiert. Sind konische Verbindungen Goldstandard? Haben solche Innenverbindungen größere Chancen, das Periimplantitisrisiko in den Griff zu bekommen? Ist die höhere Dichtigkeit der konischen Verbindungen letztlich nur ein Mythos? Im aktuellen Expertenzirkel liefern Fachleute aus Hochschule, Praxis und Industrie Antworten. ANNE BARFUß überreicht durch

[ 2 ] DENTAL MAGAZIN Zahlreiche Hersteller setzen auf die konischen Implantat-Abutment-Verbindungen. Sind Flach-zu-flach-Verbindungen out, beginnen „konische Zeiten“? ACKERMANN: Das ist sehr unwahrscheinlich, denn das Gros der weltweit gefertigten Implantate sind Butt-joints. Wer würde sich mit den vielen Patienten beschäftigen, die über Jahrzehnte mit Flach-zu-flach-Verbindungen versorgt wurden und weiter betreut werden möchten und müssen? BECKER: Auch meines Erachtens werden die „klassischen“ Verbindungen unverändert eine hohe Bedeutung behalten. In den heute verfügbaren Übersichtsarbeiten zu klinischen Langzeitergebnissen implantatgetragener Restaurationen zeigt sich, dass es keine Evidenz dafür gibt, dass es eine signifikant bessere Überlebensprognose für konische im Vergleich zu klassischen Verbindungen gibt. Langzeitergebnisse von implantatgetragenen Restaurationen hängen von einer Vielzahl von Parametern ab, wobei gute Pflege und professionelle Erhaltungstherapie von zentraler Bedeutung sind. SCHÄR: Mir ist ebenfalls keine wissenschaftliche Begründung oder klinische Studie bekannt, die aufzeigt, welches Verbindungsdesign für den klinischen Langzeiterfolg das bessere ist. Es ist demnach eine Philosophiefrage, welches Design bevorzugt wird. Die Funktionsprinzipien der Flach-zu-flach- und der konischen Verbindung sind technisch nicht in einem Verbindungsdesign umsetzbar. Beide Varianten haben sowohl ihre Vorzüge als auch ihre Einschränkungen. Auch Camlog testet eine Implantatlinie mit einer konischen Implantat-Abutment-Verbindung. Warum? BECKER: Konische Implantatverbindungen haben weltweit und auch in Deutschland einen relevanten Marktanteil, so dass sich kein renommierter Hersteller erlauben kann, dieses Marktsegment nicht zu beachten. SCHÄR: Wir möchten dem überzeugten Anwender konischer Verbindungen eine „Camlog-Lösung“ anbieten und uns damit dieses Marktsegment und weiteres Wachstumspotenzial erschließen. Nur aus diesem Grund werden wir zur IDS 2011 das Conelog-Implantatsystem im Markt platzieren. Was wird die neue Verbindung auszeichnen? SCHÄR: Charakteristisch für die Camlog- und die Conelog- Implantat-Abutment-Verbindung sind das einfache Auffinden der richtigen Endposition von Abutments im Implantat und das dabei spürbare „taktile Feedback“. Damit kommen auch die Anhänger konischer Implantat-Abutment-Verbindungen nicht nur in den Genuss des Camlog-typischen Handlings, sondern profitieren auch von unseren Serviceleistungen und dem gewohnt fairen Preis-Leistungs-Verhältnis unserer Produkte. Das konische Implantat-Abutment-Interface gilt als komplizierter in der Anwendung. Ist das tatsächlich so? BECKER: Ja, deshalb werden heute unter anderem Indexierungen für konische Verbindungen vorgestellt, die einen Teil dieser Nachteile kompensieren sollen. Bitte erläutern Sie das näher. BECKER: Grundsätzlich kommt es bei einer konischen Verbindung zu einer dichten Verbindung zwischen Aufbau und Implantatkörper, die schwerer als eine „klassische“ Verbinist Fachzahnarzt für Oralchirurgie und Spezialist für Parodontologie (EDA) in einer Gemeinschaftspraxis mit Dr. Axel Kirsch in Filderstadt. Darüber hinaus ist er Lehrbeauftragter der Akademie Praxis und Wissenschaft (APW) innerhalb der DGZMK und zählt zum DGZMK- und DGI-Vorstand. kl.ackermann@kirschackermann.de Dr. Karl-Ludwig Ackermann studierte Zahnmedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover und ist seit 1997 C4-Professor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Poliklinik für Zahnärztliche Chirurgie. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen u. a. die Implantologie, augmentative Verfahren/3D-Röntgen und Lasermedizin. jbecker@uni-duesseldorf.de Prof. Dr. Jürgen Becker studierte Elektrotechnik und Biomedizinische Technik in der Schweiz, USA und Schottland. 2003 trat er als Leiter Forschung & Entwicklung und Mitglied der Geschäftsleitung in die Camlog Biotechnologies AG, Basel, ein. Seit 2008 ist dort als Chief Technology Officer für Forschung, Klinische Forschung und den gewerblichen Rechtsschutz verantwortlich. Dr.-Ing. Alex Schär 1 Thema, 3 Meinungen Wissen aus Praxis, Hochschule und Industrie TITELGESCHICHTE Expertenzirkel – Ein Thema, drei Meinungen

DENTAL MAGAZIN [ 3 ] dung wieder zu lösen ist, etwa nach einer Gerüsteinprobe. Bei einigen Systemen gibt es hierfür ein Spezialinstrumentarium. Sind die klassischen Sechskant-, Flach-zu-flach- oder Tube-in-tube-Verbindungen leichter zu handhaben? BECKER: Auf jeden Fall! Darüber hinaus geben sie dem Behandler stets die Sicherheit, dass Abdruckpfosten, Abutments etc. sicher und korrekt platziert sind. Auch das Einsetzen von komplexen Restaurationen ist unkompliziert, da keine hochpräzisen Schlüssel wie bei klassischen Konussystemen ohne Indexierung benutzt werden müssen. Präklinische Untersuchungen zum Vergleich Konus versus tubein-tube am Hund haben gezeigt, dass selbst bei Gingivaformern, die nur von Hand angezogen wurden, die Unterschiede zwischen beiden Systemen minimal waren (Becker et al., 2007). Gibt es einen generellen Vorteil der konischen Verbindung? SCHÄR: Grundsätzlich lässt sich sagen, dass bei gleichen Dimensionen eine konische Verbindung eine höhere Ermüdungsfestigkeit gegenüber Biegung aufweist. Jedoch zeigen klinische Langzeitstudien von Flach-zu-flach-Verbindungen auch hervorragende Resultate. Bei beiden Verbindungsgeometrien werden Implantatbrüche sehr selten als Versagensursache beschrieben. Dipl.-Ing. Holger Zipprich hat in einer In-vitro-Studie das Verhalten unterschiedlicher Implantat-AbutmentVerbindungen unter simulierten Kaubelastungen untersucht. Das Interface der Implantat-Abument-Verbindung wurde röntgenologisch mit einer Videokamera erfasst und vermessen. Die Studienergebnisse – Stichwort Mikrospaltproblematik – haben für Aufsehen gesorgt. SCHÄR: Jansen et al. (1995, 1997) zeigten schon 1995 auf, dass der Mythos der dichten Konusverbindung nicht stimmt. Neuere Studien von Harder et al. (2010) und Aloise et al. (2010) bestätigen, dass auch die heutigen konischen Verbindungen nicht dicht sind gegenüber Bakterien und Endotoxinen. Rack et al. (2010) konnte sogar mit synchrotron-basierender Radiographie den Mikrospalt in der konischen Verbindung sichtbar machen, der mit dem Versuchsaufbau von Zipprich et al. (2007) nicht erkennbar war und als nicht existierend interpretiert wurde. Ein weiterer Nachteil bei den selbsthemmenden konischen Verbindungen ist das Entkoppeln des Abutments. Je steiler der Konus ist, desto höher ist die Abzugskraft des Abutments vom Implantat. Wie lösen Sie das Problem bei Ihrer neuen ConelogImplantatlinie? SCHÄR: Durch ein einfach anwendbares Löseinstrument. Viele Zahnärzte ziehen die Flach-zu-flach-Verbindungen trotz des vermeintlich „konischen“ Trends vor. Worin sehen Sie aus technischer Sicht die Vorteile der Flachzu-flach-Verbindungen? SCHÄR: Sie haben einen definierten vertikalen Anschlag. Bei den konischen Verbindungen führt schon eine kleine Abweichung des Konuswinkels zu einem Höhenversatz. So führt eine Abweichung von 0,5 Grad bei einem 12-Grad-Konus zu einem Höhenversatz von 147 µm. Betreffend die vertikalen Höhenabweichungen hatten Semper et al. (2010) in den Resultaten einen signifikanten Unterschied zwischen den Flach-zu-flach- und den konischen Verbindungen festgestellt. Klinische wissenschaftliche Studien, die ein erhöhtes Periimplantitisrisiko bei der Flach-zu-flach-Verbindung zeigen, sind uns nicht bekannt. Abb. 1b: Regio 36, klinisch imponiert eine horizontal atrophierte Einzelzahnlücke 18 Wochen nach Extraktion. Abb. 1 a: Einzelröntgenaufnahme regio 36/37. Zustand 18 Wochen nach Extraktion [Alle Bilder Ackermann] Expertenzirkel – Ein Thema, drei Meinungen TITELGESCHICHTE

[ 4 ] DENTAL MAGAZIN Herr Dr. Ackermann, was sagen Sie aus Sicht des Praktikers: Sind die Ergebnisse der Zipprich-Studie klinisch relevant? ACKERMANN: Aus meiner Sicht ganz und gar nicht! Wir wissen aus unserer täglichen Erfahrung, unserem täglichen Patientenkontakt, dass die Flach-zu-flach-Verbindung bei richtiger Anwendung der konischen Verbindung keineswegs unterlegen ist. Einfaches Handling, einfache Schnittstelle, technische Perfektion – das sind doch die entscheidenden Parameter für den Praktiker. Wir hatten bisher überhaupt keinen Anlass, konische Verbindungen zu testen. Bleiben Sie Ihrer bewährten Flach-zu-flach-Verbindung treu? ACKERMANN: Ich hoffe, mit dem neuen Conelog-Implantat konische Erfahrungen zu sammeln. Dennoch: Als klinischwisseschaftlich-orientierter Behandler vermisse ich definitiv harte Daten, die die konische Verbindung ganz grundsätzlich als statistisch signifikant besser erscheinen lassen. Die tierexperimentellen und klinischen Untersuchungen sowie derzeitige Langzeitergebnisse sind dafür kein Ersatz. Noch einmal zum Thema Mikrospaltproblematik und Pumpeffekt: Ist denn das Periimplantitisrisiko bei Flachzu-flach-Verbindungen höher? ACKERMANN: Nein! Wenn Mikrospalt und erhöhtes Periimplantitisrisiko ein immanentes Problem bedeuteten, dann wäre das für unsere Praxis schon der Knock-out. Existieren wissenschaftliche Studien, die ein erhöhtes Periimplantitisrisiko bei der Flach-zu-flach Verbindung zeigen? SCHÄR: Uns sind solche Studien nicht bekannt. BECKER: Auch ich kenne keine klinischen Studien, die für klassische Verbindungen im Vergleich zum Konus Ergebnisse zeigen, dass nach einigen Jahren Funktionsphase die Rate periimplantärer Entzündungen bei einer spezifischen Verbindungsform höher wäre. Periimplantäre Entzündungen haben in der Regel eine multikausale Ursache, wobei die Art der Verbindung meines Erachtens von nachrangiger Relevanz im Vergleich zu anderen Parametern ist. Solche Parameter sind neben Pflege und kompetenter Erhaltungstherapie beispielsweise ein anamnestisch hohes Risiko für Zahnverlust durch parodontale Erkrankungen, der Tabakkonsum des Patienten und der Umfang keratinisierter Schleimhaut. Zum Platform-Switching: Bringt das aus Ihrer Sicht relevante Vorteile? BECKER: Ja, nach den heute vorliegenden präklinischen und zum Teil bereits auch klinischen Studien hat es relevante Vorteile hinsichtlich des Erhalts des krestalen Knochenniveaus. Vor allem aber reduziert es das epitheliale Saumepithel im Sulkus. Ist Platform-Switching bei beiden Verbindungsvarianten möglich? BECKER: Definitiv ja! (Becker et al., 2009). Bislang wurden zweiteilige Implantatsysteme wegen klinischer und prothetischer Vorteile viel häufiger verwendet als einteilige. Doch der Markt für die kostengünstigen einteiligen Implantatsysteme wächst. Investiert auch Camlog in die Entwicklung einteiliger Systeme? Abb. 3: Zustand fünf Monate nach Implantation und zwie Monate nach Freilegung der Implantate Abb. 2: Sicht: intraoperativ; bei schmalem Alveolarfortsatz WurzelWurzel-Ersatz 36 mit zwei durchmesserreduzierten Camlog-Implantaten TITELGESCHICHTE Expertenzirkel – Ein Thema, drei Meinungen

DENTAL MAGAZIN [ 5 ] SCHÄR: Einteilige Implantate verlangen vom implantologisch tätigen Zahnarzt oder Chirurgen eine präzise Planung und Implantation, weil die Achsenlage nicht mehr mit dem Abutment korrigiert werden kann. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein extensives Beschleifen der einteiligen Implantate sowohl für die Primärstabilität als auch für die Osseointegration förderlich ist. Außerdem liegen die Kosten für Abutments im tiefen einstelligen Prozentbereich der Gesamtkosten implantatgetragener Restaurationen. Wir bemerken eine zunehmende Marktnachfrage nach Implantat- und Prothetiksystemen, die kostengünstigen, festsitzenden Zahnersatz ermöglichen. Einteilige Implantatsysteme sind da nur ein möglicher Lösungsansatz. BECKER: Als Anwender sind mir die Detailüberlegungen der Industrie leider nicht bekannt. Es gibt heute von mehreren Herstellern einteilige Implantatsysteme, die in meiner Abteilung auch klinisch bei Bedarf eingesetzt werden. Einige einteilige Systeme sind jedoch teurer als zweiteilige Systeme. ACKERMANN: Wenn der Verlangensdruck aus der Kollegenschaft weiter steigt, werden Hersteller darauf reagieren und verstärkt einteilige Implantate anbieten. Da bin ich absolut sicher! Herr Professor Becker, wann setzen Sie in Ihrer Klinik einteilige Implantate, wann raten Sie ab? BECKER: Zweiteilige Implantatsysteme erreichen ihre biomechanischen Grenzen bei schmalen Implantatdurchmessern, die jedoch z. B. bei unteren Frontzähnen oftmals klinisch notwendig sind. Mit einteiligen Implantaten lassen sich schmalere Zahnlücken noch ästhetisch und funktionell ansprechend versorgen, so dass wir einteilige Implantatsysteme in diesen Indikationen verwenden. Die Anwendung ist jedoch komplizierter, da eine nachträgliche Korrektur z. B. der Achsenrichtung, wie sie bei zweiteiligen Systemen möglich ist, nur noch begrenzt umgesetzt werden kann. Auch bei Angulationen muss im Vorfeld eine sehr genaue Planung erfolgen, wobei der Ausgleich von starken Achsenneigungen begrenzt ist. Herr Dr. Ackermann, jetzt bitte klare Worte für den Praktiker: Wann sollte der niedergelassene Implantologe einteilige Implantate inserieren? ACKERMANN: Nur bei wirklich idealen Weichgewebe- und Knochenverhältnissen! In 90 bis 95 Prozent der Fälle halte ich einteilige Implantate für weniger geeignet. Individuelle Vollkeramik-Abutments setzen sich mehr und mehr durch. Wie sieht es bei den Implantaten aus? Ist das auf der letzten IDS diskutierte Thema „zweiteilige Vollkeramikimplantate“ vom Tisch? ACKERMANN: Schöne Frage, spannendes Thema! Keramik als Werkstoff setzt sich mehr und mehr durch, werkstoffkundliche Defizite werden wohl sukzessive abgebaut. Aber: Die Keramikimplantate müssen sich an den materialkundlichen und herstellungsbedingten Charakteristika der Metallimplantate messen lassen. Ich habe in der Vergangenheit mit Keramikimplantaten gearbeitet – es gab massive Probleme mit der Osseointegration. Solche Komplikationen existieren nach wie vor. Insofern gilt es, wissenschaftliche Studien abzuwarten, wie es sie bei Titanimplantatsystemen gibt. Abb. 5: Okklusalansicht der zementierten Vollkeramik-Krone (VK) Abb. 4: Okklusalansicht mit verschraubten Titanaufbauten Expertenzirkel – Ein Thema, drei Meinungen TITELGESCHICHTE

[ 6 ] DENTAL MAGAZIN Herr Dr. Schär, forscht Camlog auf diesem Gebiet? SCHÄR: Wir verfolgen die Entwicklung der Zirkondioxidimplantate mit großem Interesse. Mittel- bis langfristig können sie eine Alternative zu Titanimplantaten sein. Zurzeit sollten Zirkondioxidimplantate nur in klinischen Studien oder auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten verwendet werden. Denn: Langzeitstudien diverser Titanimplantatsysteme ergaben hohe Erfolgsraten von mehr als 90 Prozent nach fünf und zehn Jahren Liegedauer. Zirkondioxidimplantate verfügen zurzeit noch über keine vergleichbare wissenschaftliche Dokumentation. Herr Professor Becker, Sie beschäftigen sich in Ihrer Klinik intensiv mit der Frage der Implantatoberflächen und ihrer Bedeutung für die Osseointegration. Ist die Osseointegration von Keramikimplantaten noch eine „mittlere Katastrophe“? BECKER: Auch für mich überwiegen derzeit eher noch die Nachteile bei den Keramikimplantaten, wie glatte Oberfläche und begrenzte prothetische Lösungsalternativen. Titan eröffnet die Möglichkeit einer sehr guten Verbindung und der enormen prothetischen Vielfalt. Dies ist bei den Keramiken heute noch schwieriger. Aufgrund der intensiven Forschung gehe ich jedoch davon aus, dass auch im Bereich der Keramiken eventuell Lösungsansätze gefunden werden können, die diese bisherigen Nachteile möglicherweise einer Lösung zuführen können. Im vergangenen Jahr wurden mehr als eine Million Implantate inseriert …. ACKERMANN: Stopp – das ist ein Mythos, die Zahl kann nicht korrekt sein. Vielleicht wurden so viele Implantate verkauft, aber ganz bestimmt nicht inseriert. Aber diese Zahl stammt von der DGI? ACKERMANN: Das weiß ich. Entsprechende Daten wären nur über die Krankenkassen und Versicherer verlässlich zu bekommen. Einigen wir uns, dass bislang viele Implantate gesetzt wurden. In naher Zukunft wird die Zahl der Implantatinsertionen meiner Meinung nach auch nicht weiter steigen, eher sinken. Okay, einigen wir uns darauf, es wurden 2009 zwischen 800.000 und 900.000 Implantate gesetzt. Zahlreiche Patienten tragen ihre künstlichen Zahnwurzeln inzwischen länger als fünf Jahre. Welche Komplikationen treten am häufigsten auf, und wie gehen Sie damit um? BECKER: Von zentraler Bedeutung sind die periimplantären Entzündungen, vor allem Mukositis und Periimplantitis. Hierfür gibt es in meiner Abteilung eine eigene Sprechstunde, in der die Patienten dann einer entsprechenden Therapie zugeführt werden. Periimplantäre Entzündungen sind, wie bereits oben ausgeführt, multikausal. Wie sieht es mit Schraubenlockerungen aus? BECKER: Das Problem der Lockerung der prothetischen Suprakonstruktion, das vor allem beim Außensechskant über viele Jahre bestand, ist heute bei den renommierten Systemen mit ihrer hohen Präzision der Teile weitestgehend gelöst. Welche Rolle spielen präimplantäre Diagnostik und Befunderhebung? ACKERMANN: Sie sind letztlich entscheidend für den Implantaterfolg. Bereits die Inspektion der Mundhöhle gibt Aufschluss über die Beschaffenheit der Schleimhaut, über eventuell vorliegende pathologische Veränderungen, über die Form des Alveolarfortsatzes und vieles mehr. Ich stelle in meinen Fortbildungsseminaren häufig die Eingangsfrage: Warum hat eigentlich der Zahn versagt? Was hat zum Beispiel die Mundhöhlenflora damit zu tun? Diese Frage sollte man vor dem Setzen eines Implantats unbedingt geklärt haben. Abb. 6b: Einzelröntgenaufnahme fünf Jahre nach implantatprothetischer Versorgung Abb. 6a: Lingualansicht der VK-Krone; Beachte: Hygienetunnel zwischen den zwei Implantaten durch geeignete basale Kronengestaltung TITELGESCHICHTE Expertenzirkel – Ein Thema, drei Meinungen

DENTAL MAGAZIN [ 7 ] Gibt es einen Zusammenhang zwischen der ImplantatAbutment-Verbindung und Misserfolgen? SCHÄR: Bei fachgerechter Anwendung kann ich mir keinen solchen Zusammenhang vorstellen. BECKER: Für den Bereich der Periimplantitis sehe ich keinen Zusammenhang. Für den Bereich der möglichen Lockerung einer prothetischen Suprakonstruktion gibt es sicherlich systemspezifische Unterschiede, wobei ich dies nicht auf den Bereich Konus und flach-zu-flach fixieren möchte. Beim Innensechskant ist z. B. die Präzision und Qualitätssicherung im Hinblick auf Toleranzen bei der Herstellung ein wichtiges Thema. ACKERMANN: Aus meiner Erfahrung gibt es keinen Zusammenhang zwischen Implantat-Abutment-Interface und periimplantären Entzündungen. Einen Zusammenhang mit biomechanischen Ursachen, Schraubenlockerung, Schraubenbruch, Implantatfrakturen etc. könnte ich mir schon eher vorstellen. Ich möchte hier aber keine allgemeine Aussage treffen. Denn ich kenne nur eine begrenzte Zahl Implantatdesigns persönlich. Angenommen, ein Neueinsteiger fragt Sie nach einem geeigneten Implantatsystem – was antworten Sie? ACKERMANN: Wählen Sie ein Implantatsystem, das einfach zu verstehen ist und keine Probleme in der Anwendung an den Schnittstellen zur Prothetik bereitet. Auch sollte die eventuelle Wiederverwendung des Implantats für ergänzende oder erweiternde prothetische Schritte gesichert sein. Herr Dr. Schär, was sagen Sie dem Newcomer? SCHÄR: Der Neueinsteiger sollte sich für ein etabliertes, einfach zu handhabendes System entscheiden, bei dem er auch noch in zehn Jahren Ersatzteile bekommt. Nicht zu unterschätzen sind die Systemeinschulung für das gesamte Praxisteam, das Fortbildungsangebot und der Kundenservice des Herstellers. Sollte er sich denn für Implantate mit konischer Innenverbindung oder für ein System mit der leichter zu handhabenden klassischen Verbindung entscheiden? SCHÄR: Wie schon eingangs erwähnt, ist es für uns mehr eine Philosophiefrage, welche Verbindung bevorzugt wird. Wahrscheinlich wählt der Zahnarzt die, die er während seiner Ausbildung kennen lernte. BECKER: Die Entscheidung für ein Implantatsystem wird durch eine Vielzahl von Aspekten beeinflusst, wobei die Art der Innenverbindung eher von nachgeordneter Bedeutung ist. Generell sollte man heute den klassischen Außensechskant nicht mehr einsetzen. Für einen Neueinsteiger sind vor allem eine kompetente Beratung und Schulung, wissenschaftlich dokumentierte Ergebnisse und ein voraussichtlich langfristiges Bestehen des Anbieters am Markt Aspekte, die bei der Auswahl eines Systems mit berücksichtigt werden sollten. Implantate haben heute eine gute Langzeitprognose, so dass der Hersteller auch noch lange am Markt prothetische Aufbauteile verfügbar haben muss, wenn nach vielen Jahren z. B. die Art der prothetischen Versorgung geändert werden soll. Welche Studien planen Sie in Düsseldorf, welche Projekte möchten Sie kurzfristig angehen? BECKER: Generell benötigen wir klinische Studien, die verschiedene chirurgische Konzepte, verschiedene Knochenersatzmaterialien, augmentative Verfahren oder prothetische Versorgungsarten miteinander vergleichen. Herr Dr. Ackermann, was kann aus zahnmedizinischer Sicht in den Bereichen Hochschule und Praxis verbessert werden? ACKERMANN: Die Forschung in den Hochschulen ist auf einem guten Weg. Problematisch finde ich nur die Drittmittelfinanzierung. Fast alle Studien sind industriegesponsert. Eine wissenschaftliche Neutralität ohne merkantile Konsequenzen sollte meiner Meinung nach grundsätzlich garantiert sein. Meinen Kolleginnen und Kolleginnen möchte ich zurufen: Wait and see! Wir sind derzeit sehr gut aufgestellt. Beobachten Sie einfache und „billige“ Produkte mit Akribie, Langzeitergebnisse zählen. Nicht alles, was machbar und denkbar ist, sollte uneingeschränkt gemacht werden. [] Literaturliste siehe Rückseite. Flach-zu-flach-Verbindungen werden auch künftig eine unverändert hohe Bedeutung haben. Bei fachgerechter Anwendung gibt es keinen Zusammenhang von Implantat-Abutment-Interface und Misserfolg; den klassischen Außensechskant sollte man aber heute schon nicht mehr einsetzen. Flach-zu-flach-Verbindungen sind einfacher zu handhaben als konische Verbindungen. Konische Verbindungen weisen bei gleichen Dimensionen eine höhere Ermüdungsfestigkeit auf als Flach-zu-flach-Verbindungen. Es ist eine Frage der Philosophie und der persönlichen Erfahrung, welches der beiden Verbindungsdesigns bevorzugt wird. Platform-Switching bringt nach den heute vorliegenden präklinischen und zum Teil bereits auch klinischen Studien relevante Vorteile hinsichtlich des Erhalts des krestalen Knochenniveaus. Vor allem aber reduziert es das epitheliale Saumepithel im Sulkus. Platform-Switching funktioniert definitiv bei bei konischen und Flach-zu-flach-Verbindungen. Wissenschaftliche Studien, die ein erhöhtes Periimplantitisrisiko bei Flach–zu-flach-Verbindungen nachweisen, sind nicht bekannt. Die Osseointegration von Keramikimplantaten ist nach wie vor problematisch. (ab) Zusammenfassung Expertenzirkel – Ein Thema, drei Meinungen TITELGESCHICHTE

[ 8 ] DENTAL MAGAZIN Prof. Dr. Jürgen Becker Becker J, Ferrari D, Herten M, Kirsch A, Schaer A, Schwarz F. Influence of platform switching on crestal bone changes at nonsubmerged titanium implants: a histomorphometrical study in dogs, J Clin Periodontol. 2007 Dec;34(12):1089–96. Epub 2007 Oct 22. Becker J, Ferrari D, Mihatovic I, Sahm N, Schaer A, Schwarz F. Stability of crestal bone level at platform-switched non-submerged titanium implants: a histomorphometrical study in dogs, J Clin Periodontol. 2009 Jun;36(6):532–9. Dr.-Ing. Alex Schär Aloise JP, Curcio R, Laporta MZ, Rossi L, da Silva AM, Rapoport A. Microbial leakage through the implant-abutment interface of Morse taper implants in vitro. Clin Oral Implants Res. 2010 Mar;21(3):328–35. Harder S, Dimaczek B, Açil Y, Terheyden H, Freitag-Wolf S, Kern M. Molecular leakage at implant-abutment connection – in vitro investigation of tightness of internal conical implantabutment connections against endotoxin penetration. Clin Oral Invest. 2010 Aug;14(4):427–432. Jansen VK, Conrads G, Richter E-J. Untersuchungen zur Dichtigkeit der Implantat-Prothetikpfosten-Verbindung Implantologie. 1995;3:229–247. Jansen VK, Conrads G, Richter E-J. Microbial leakage and marginal fit of the implant-abutment interface. Int J Oral Maxillofac Implants. 1997;12:527–540. Rack A, Rack T, Stiller M, Riesemeier H, Zabler S, Nelson K. In vitro synchrotron-based radiography of micro-gap formation at the implant-abutment interface of two-piece dental implants. J Synchrotron Rad. 2010;17:289–294. Semper W, Heberer S, Mehrhof J, Schink T, Nelson K. Effects of repeated manual disassembly and reassembly on the positional stability of various implant-abutment complexes: an experimental study. Int J Oral Maxillofac Implants. 2010;25:86–94. Zipprich H, Weigl P, Lange B, Lauer HC. Erfassung, Ursachen und Folgen von Mikrobewegungen am Implantat-AbutmentInterface. Implantologie. 2007;15(1):31–46. [Literatur] Dental Magazin [Dent Mag] 2010;28(5):58-64 Anne Barfuß Expertenzirkel – Implantologie – die richtige Verbindung

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